
Einzelbewerber Andreas Beier hat in diesem Jahr Bundesministerin Schavan als Konkurrentin
Die Medien sind voll mit Themen und Artikel zur Bundestagswahl: Wer gewinnt?, Welche Koalition erreicht eine Mehrheit? Schafft Steini noch die Aufholjagd? Bei all dem Parteienstreit gerät ein wenig in Vergessenheit, dass es neben den Kandidaten der größeren und kleineren Parteien auch unabhängige Kandidaten gibt. Sie treten ohne Parteiorganisationen als Einzelbewerber an und versuchen, das Bundestagsmandat direkt zu erobern. Wir haben einen von ihnen um einen Gastbeitrag gebeten. Andreas Beier kandidiert schon zum vierten Mal als unabhängiger Kandidat in Baden-Württemberg. Uns interessierte am Meisten, was jemanden motiviert, den fast aussichtslosen Kampf gegen die Parteien als Einzelkandidat aufzunehmen.
Die Qual der Wahl – Motivation durch „Wahlplakat“ oder „Internet“?
1998 hatte ich zum ersten Mal als Unabhängiger in meinem Wahlkreis kandidiert, da ich genug hatte von dumpfen Wahlkampfparolen wie „Aufschwung wählen“, von den gegenseitigen Schuldzuweisungen und Streitereien der Parteipolitiker sowie von einer Presse, die einseitig über diejenigen Kandidaten und Parteien berichtete, die genehm waren. Geändert hat sich bis heute bei den Parteien nichts, die Parolen sind noch gleich „Wir haben die Kraft“ und die Streitereien sind geblieben. Geändert hat sich die Wahrnehmung in den Medien: Unabhängige, parteifreie Kandidaten erhalten Möglichkeiten, sich darzustellen. Gestartet bin 1998 ich mit zehn Einzelseiten im Internet.
Geklebt habe ich auf rund 30 öffentlichen Plakatstellwänden selbst gefertigte Plakate aus Raufasertapeten, die ich mit dicken Filzstiften und kritischen Sprüchen wie „Wo bleiben im Wahlkampf die Kinder?“ beschriftet hatte. Resonanz gab es dafür keine. Ich bekam aber Anrufe von fremden Menschen, die mich gefragt hatten, wo ich politisch stehe, oder die mein Engagement lobten.
Motiviert hat mich das Ergebnis, da ich drei Parteikandidaten hinter mir gelassen hatte. „Nicht einmal 200 Stimmen bekommst du.“, wurde mir prophezeit. Es wurden viermal so viele.
2002 hatte ich auf öffentlichen Plakatstellwänden in Ulm drei nebeneinander liegende Plätze für je ein DIN-A1-Plakat zugewiesen bekommen. Ich entwarf ein Riesenplakat mit der Frage: „Geht’s Ihnen auch so gut wie den fröhlichen Parteikandidaten auf den Wahlplakaten? www.andreas-beier.de“, welches aus rund 20 DIN-A4-Kopien zusammengeklebt wurde. Ich fand es unangemessen, in Zeiten, in denen es immer mehr Menschen wirtschaftlich schlechter geht – die Euro-Einführung lastete auf Deutschland -, dass lachende und fröhliche Parteikandidaten auf das Volk herablachen, dieses gar auslachen. Es gab vereinzelt positive Resonanz auf mein Plakat. Auf meiner Internetseite konnte ich gut Werbung machen, da Nachrichten ungefiltert dargestellt werden. In der Politikwissenschaft gibt es für das Internet den Oberbegriff „Demokratie im Netz“. Auch die Demokratiebewegungen in China, dem Iran oder Ägypten wären sonst unmöglich gewesen.
Motiviert hat mich die Erstwählerin, die am Wahlabend freudestrahlend auf mich zu gerannt kam: „Herr Beier, ich komme aus Staig und habe sie heute gewählt!“ und der FDP-Direktkandidat: „Herr Beier, meine Mutter hat sie gewählt, weil sie ihren Handzettel so gut fand!“.
2005 war die Verfassungsbruchwahl Gerhard Schröders. Nicht mehr das Volk als Souverän entschied über die Legislaturperiode von vier Jahren, sondern ein Politiker mit seinem Freund Franz Müntefering. Je nach politischer Stimmung in der Bevölkerung wird das Parlament aufgelöst und neu gewählt. So auch 2009 Peter-Harry Carstensen in Schleswig-Holstein. Wir unabhängigen Kandidaten mit unserem Gründer Werner Fischer hatten darunter zu leiden, denn wir wollten bei der regulären Wahl 2006 mit 60 Kandidaten antreten und ich hätte dabei in meinem Wahlkreis Ulm 2 bis 2,5% erreicht.
Zum ersten Mal hatte ich ein professionelles Plakat: „Die Qual der Wahl oder www.andreas-beier.de“, das „Q“ in Qual war schwarz, gelb, rot und grün. Verstanden hat keiner, dass ich damit auf die drohende Spaltung Deutschlands aufmerksam gemacht hatte, die wir mittlerweile haben. Meine Internetseite konnte ich mangels Verfassungsbruchwahl und daraus resultierender fehlender Vorbereitungszeit nicht vollständig auffrischen.
Motiviert hat mich, dass ich trotz dieser Widrigkeiten das Ergebnis steigern konnte und dass ich nun auch zweistellige Einzelergebnisse im Wahlkreis Ulm erreichte.
2009 habe ich rund 150 Plakate auf zahlreichen öffentlichen Plakatstellwänden in Ulm und einigen anderen Städten des Wahlkreises geklebt. Der Slogan auf meinem Plakat lautet: „Augen auf!“. Damit ist Dreierlei gemeint: Erstens sollen die Menschen die Augen nicht aus Parteienverdrossenheit schließen und zum Wählen gehen, zweitens sollen sie auf meiner Internetseite vorbeischauen, da ich nur ein begrenztes Wahlkampfbudget habe, und drittens sollen sie stets genau hinschauen, sei es bei der Erststimme am 27. September, oder im Alltag wie den Überwachungsmaßnahmen durch staatliche Stellen.
Motiviert hat mich um halb neun abends, als ich in Erbach das vorletzte Plakat geklebt habe, Folgendes: Ein Anwohner schaute zu und ich fragte ihn, ob er nun ein Wahlgeschenk wolle? Er fragte, wer ist des und verwies auf das Plakat. Ich sagte, das bin ich selbst, worauf er leicht aufschrie: „Sind Sie der Beier? I’ bin seit sechs Jahr’ in Rente.“ Ich erinnerte mich, hatte mit ihm während des Wahlkampfes 2002 im Rathaus Erbach gesprochen. Er hat mich seitdem immer gewählt und sich entschuldigt, dass er mich nicht auf dem Stimmzettel zur Europawahl gefunden hat, da so viel los war im Stimmlokal und der Stimmzettel so lang. Ich hatte im Amtsblatt nur eine „Wahlempfehlung“ zur Europawahl inseriert und nicht selbst kandidiert.
2013 wird es auch wie bei den vier Wahlen zuvor nicht um mich gehen, sondern darum anderen Menschen Mut zu machen, dass man gegen die Parteienherrschaft und für die Volksherrschaft – die Demokratie – aktiv sein muss. Ich denke, meine persönlichen Erlebnisse aus vier Kandidaturen sind aufschlussreicher als wenn ich eine sozialwissenschaftliche Analyse durchgeführt hätte, warum 2009 das linke Lager in Deutschland stärker war als das rechte, oder wie man demokratietheoretisch die vermutlich 18 verfassungswidrigen Überhangmandate der Unionsparteien bewerten muss.
Motiviert bleiben werde ich. Es geht nicht darum, meine Chancen gegenüber den Parteien zu bewerten, sondern etwas für mittlerweile Tausende Mitmenschen und für unsere Demokratie in Deutschland zu machen! Sonst wird die Demokratie 2020 abgeschafft!
Mehr zu den Wahlplakaten unter: andreas-beier.de
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